Über den grossen Teich
Uhren der Vorgänger-Marke von Certina, Grana, dürften bereits früh in die USA exportiert worden sein, wurde die "American Grana Watch Company" doch bereits 1910 registriert. Ab Mitte der Dreissigerjahre lassen sich Grana Werbungen finden und um 1944 sieht man erste Hinweise, in Form von Inseraten, dass auch Certina Modelle erhältlich waren. Die "Certina Watch Corporation of America", mit Sitz in New York, wird Ende der Vierzigerjahre gegründet. Zu dieser Zeit waren viele Schweizer Firmen in Amerika aktiv und hatten teilweise schon seit den 1890er Jahren eine Firmenvertretung in Übersee.
Kurz darauf, anfangs der Fünfzigerjahre, beginnt die Zusammenarbeit zwischen Certina und der Illinois Watch Case Company. Die Illinois Watch Case Company aus Elgin, Illinois (IWCCo) war ein bedeutender Hersteller von Uhrengehäusen. Die Firma wurde 1873 in Chicago gegründet und verlegte ihren Sitz 1890 nach Elgin. Zeitweise war sie der zweitgrösste Arbeitgeber in der Stadt. Sie schalten Uhrwerke anderer Firmen in eigene Gehäuse ein, welche selber designt wurden. Dies war damals ein gängiges Verfahren um Zölle zu vermeiden. Schweizer Firmen exportierten nur die Uhrwerke ihrer Uhren und die Gehäuse wurden dann in Amerika hergestellt. Certina lieferte zu dieser Zeit beispielsweise auch Uhrwerke an die Hamilton Watch Company. Dies auch weil die amerikanische Uhrenindustrie während dem zweiten Weltkrieg voll damit beschäftigt war die Streitkräfte mit Uhren (und Bombenzündern) zu versorgen und darob die Entwicklung der Automatikwerke verpasst hatte (erwähnenswert an dieser Tatsache ist übrigens, dass heute Certina und Hamilton nicht nur beide in der Swatchgroup vereint, sondern deren Hauptsitze sogar in Biel im gleichen Gebäude untergebracht sind).
Fabrikgebäude der Illinois Watch Case Company
Ab 1940 produzierte die IWCCo auf Grund der schwierigen Marktlage auch andere Produkte wie Puderdosen und Zigarettenetuis unter dem Markennamen "Elgin American". Einen kleinen Einblick in die damalige Produktpalette bietet die folgende Anzeige aus dem Jahr 1952. Interessant dabei ist die "Schatzkiste" rechts oben, denn die wird uns in ähnlicher Form nochmals begegnen.
Werbeanzeige für Elgin American Produkte 1952
Eine neue Marke
Ich gehe davon aus, dass Certina EA Uhren ab 1951 verfügbar waren, denn wie man anhand des Ausschnitts aus dem Schweizerischen Handelsblatt sehen kann, wurde die Marke "Certina EA" am 18. Januar 1951 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum angemeldet. Ausserdem wurde in einer Ausgabe des amerikanischen Branchenmagazins "Jeweler's Circular-Keystone" von 1951 folgendes publiziert:
"Certina EA ist der Handelsname für eine neue importierte Uhrenlinie. Die Illinois Watch Case Co., Hersteller von Elgin American Puderdosen, Zigarettenetuis, Feuerzeugen, Modeschmuck und Anrichtensets, hat die Einführung der Uhrenlinie Certina EA angekündigt."
Wie bereits erwähnt, vertrieb die IWCCo unter der Bezeichnung "Elgin American" diverse Artikel. Ausserdem steht in einem Eintrag im "Catalog of Copyright Entries" von 1952: "Illinois Watch Case Company, d.b.a. (doing business as) Elgin American; also d.b.a. Certina Watches. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das Kürzel "EA" im Markennamen ebenfalls für "Elgin American" stand.
© Schweizerisches Handelsamtsblatt
In der hübschen Uhrenbox welche man in den USA zu den Certina EA-Uhren kriegte (ihr erinnert euch an die Werbeanzeige oben) ist auf der Innenseite vom Deckel zwar das E und das A mit "Elegant and Accurate" ergänzt, jedoch benutzte man auch in den Uhrenboxen hierzulande den Slogan "Elegance and Accuracy since 1888". Dies wird also eher eine Wortspielerei gewesen sein. Diese Box wurde übrigens sogar in der Werbung als "Juwelierbronze-Schatzkiste mit edelsteinartigem Gehäuse mit vielen dekorativen und praktischen Einsatzmöglichkeiten" angepriesen.
Nebst den Certina EA Modelle scheinen parallel dazu auch weiterhin die "normalen" Certina Modelle auf dem amerikanischen Markt verkauft worden zu sein. Manche Modelle scheint es sogar in beiden Ausführungen gegeben zu haben. In den EA Modellen wurden diverse Certina-Werke verbaut, interessanterweise aber auch, wahrscheinlich vor allem in günstigeren Modellen, "Nicht-Certina" Kaliber wie z.B. ein Felsa 694 Bidynator. Vor allem aber in den Chronographen wurden teils sehr exquisite Werke wie das Venus 185 im Rattrapante Chrono mit der Referenz 5826 oder das Angelus 250 verbaut. Hier gab es keine eigenen Werke da Certina nie ein Chronographenkaliber entwickelt hat.
Certina Werbung USA 1952
Etwa zu der Zeit als man die Marke Certina EA, einem hochwertigen und somit teuren Schweizer Importprodukt, im Jahr 1951 ins Portfolio aufnahm, begann eine Reihe von Verlusten für die IWCCo. Die Verkäufe wurden durch den Wechsel der Verbraucherpräferenz zu preisgünstigeren Uhren beeinträchtigt und für die teuersten Certina Modelle konnten schon mal bis zu 5'000 Dollar über die Theke wandern. Ausserdem regte sich Mitte der Fünfzigerjahre Widerstand gegen die Masche mit den Zöllen.
Das Unternehmen stellte schliesslich die Herstellung von Uhrengehäusen ein und 1956 wurde der Name der Illinois Watch Case Company, der Muttergesellschaft, in den Namen ihrer Tochtergesellschaft Elgin American, Inc. geändert. 1957 wurden die Maschinen die für die Gehäuseherstellung benutzt worden waren versteigert. Die ausländische Konkurrenz drang stark in die Märkte des Unternehmens ein, und bis zum Ende des Jahrzehnts wurde der Betrieb drastisch eingeschränkt. Die Verlagerung der Produktion der Elgin American Linie nach Japan war eine finanzielle Katastrophe, und das Werk in der Dundee Avenue wurde 1963 ganz aufgegeben. 2011 wurden die Gebäude abgerissen. Mit der Einstellung der Uhrengehäuse-Produktion 1956 dürfte auch der Vertrieb von Certina EA Uhren beendet worden sein, so dass diese Uhren insgesamt wohl nur etwa 5 Jahre lang produziert wurden.
Design
Meiner Meinung nach stammen einige der schönsten und interessantesten Certinas aus der Zeit der Zusammenarbeit mit der IWCCo. Die amerikanischen Designer versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen und die meisten Uhren sind sehr vom Art déco Stil inspiriert. Dadurch möchte man sie eher in die 30er und 40er Jahre einstufen als in die Fünfzigerjahre. Schliesslich hatte der Art déco seinen Höhepunkt in Europa schon Ende der Zwanzigerjahre erreicht. In den USA überdauerte der Stil aber bis in die Fünfzigerjahre und floss u.a. in das Design von Fahrzeugen mit ein.
Leider gibt es nur spärliche Informationen was die Zusammenarbeit zwischen der IWCCo und Certina betrifft. Vielleicht werden mit der Zeit ja noch weitere Einzelheiten bekannt werden.
Folgend möchte ich euch stellvertretend ein besonderes Exemplar aus dieser Kooperation näherbringen.
Split-Seconds Chronograph Referenz 5826
Dies ist eine meiner absoluten Lieblingsuhren aus dem Hause Certina. Ich mag Chronographen und die Rattrapante-Funktion ist sozusagen die Königsdisziplin unter den Chronos. Eine Besonderheit dieser Uhren sind die zwei Sekundenzeiger, statt einer bei normalen Chronographen. Damit ist es möglich Zwischenzeiten zu stoppen. Damals eine Sensation! Die Betätigung des Schleppzeigers erfolgt hier über einen in der Krone integrierten Drücker.
Das Edelstahl-Gehäuse hat einen, besonders für damalige Verhältnisse, stattlichen Durchmesser von 37mm. Die Länge über die Hörner beträgt 49mm und die Höhe 13.9mm. Die Bandanstösse sind sogenannte "Fancy Lugs". Diese waren zu dieser Zeit sehr beliebt und bei den amerikanischen Designern wie es scheint besonders.
Das Zifferblatt weist bei näherer Betrachtung zwei verschiedene Oberflächen auf. Der äussere Teil mit der Tachymeter-Skala ist matt, während der innere Teil einen Strichschliff hat, welcher je nach Blickwinkel ins gräuliche changiert. Im ersten Bild kann man den Effekt gut sehen.
In der Uhr tickt ein seltenes Venus 185 Handaufzugswerk. Dieses Kaliber wurde von der Fabrique d'Ebauches Vénus S.A. in Moutier ca. zwischen 1940 und 1952 hergestellt und basiert auf dem Venus 175 das mit Schleppzeigermechanismus und Zwölf-Stunden-Zähler ergänzt wurde. Es hat eine kleine Sekunde bei der 9, einen 12-Stundenzähler bei der 6 und einen 30-Minutenzähler bei der 3. Das Werk läuft mit 18.000 Halbschwingungen pro Stunde und hat eine Gangreserve von 44 Stunden. Die Werke von Venus wurden von verschiedensten Marken wie Breitling, Record usw. verwendet.
Wie ihr sehen könnt, ist das Werk in dieser Uhr mit Record gestempelt. Ich gehe, auch aufgrund des tollen Gesamtzustands, davon aus dass diese Uhr nie verkauft wurde sondern aus Lagerteilen zusammengebaut wurde. Es gibt allerdings noch weitere Exemplare welche auch ein mit Record gestempeltes Werk verbaut haben.
Im Gehäuseboden sieht man die "Certina EA" Gravur und darunter die Adresse der Illinois Watch Case Company. Ausserdem die Serien- sowie die Referenznummer. Interessant ist, dass die Seriennummer ins Schema der normalen Certina-Nummern zu passen scheint und ins Jahr 1952 zuzuordnen wäre.
Dass ich diese Uhr erwerben konnte freut mich wirklich sehr. Man findet zwar eine Handvoll Exemplare welche in den vergangenen 10 Jahren versteigert wurden, und ich weiss sonst noch von zwei, drei Stücken welche in Sammlerhänden sind. Trotzdem ist es natürlich nicht gerade einfach an so eine Referenz zu kommen. Meistens werden solche Stücke gehütet und sind auf der anderen Seite auch sehr gesucht.
Abschliessend noch ein Bild mit der schönen Originalbox, welche ich weiter oben bereits erwähnt habe.